Wer in einer tiefen Grube steckt, sollte als erstes aufhören, zu graben. Unternehmen fällt das oft schwer. Vor allem im Bereich Public Relations. Warum eigentlich?
„Ich will mein altes Leben zurück“, sagte der BP-Chef Tony Hayward auf dem Höhepunkt der Umweltkatastrophe der Bohrinsel Deepwater Horizon im Frühjahr 2010. Das ausströmende Öl sprudelte drei Monate lang unkontrolliert in den Golf von Mexiko und führte zur schlimmsten Ölpest überhaupt. Elf Mitarbeiter starben. Mit seinem Verhalten in der Krise machte Hayward sich so unbeliebt, dass auch Jahre später noch Kritik an seinen PR-Eigentoren aufkam.
Die Beziehungen zwischen Unternehmen und der Öffentlichkeit sind ein Spannungsfeld sondergleichen. Firmen brauchen Kontakt zur Allgemeinheit, und Menschen brauchen Produkte und Dienstleistungen von Konzernen. Warum nur sind Public Relations oft so schwierig für Unternehmen? Was treibt Manager zu Hayward’schen Eigentoren? Eine Übersicht über die fünf häufigsten Fehler der Unternehmens-PR.
Fehler Nummer eins: Kein Bock. Ein Foto vom Chef, das 28 Kilobyte klein ist. Eine Sekretärin, die mit einer Mischung aus Genervtheit und Hochnäsigkeit anrufenden Lokaljournalisten als Bittsteller deklassiert. Lustlos konfigurierte Telefonanschlüsse von Marketingverantwortlichen, die im Fall von „Besetzt“ die Tonband-Ansage „Dieser Anschluss ist nicht vergeben“ melden – statt eines Besetztzeichens. Unternehmen, die derart lustlos reagieren, machen deutlich, dass die Öffentlichkeit in ihrem aktuellen Geschäftsmodell keine Rolle spielt.
Kann ja sein, dass PR in den vergangenen 35 Jahren unwichtig war. Aber was ist mit der Zukunft? Was ist, wenn Sohnemann oder Töchterchen den Laden übernehmen soll? Und PR auf einmal wichtig wird, aus welchen Gründen auch immer? Dann übernimmt der Erbe nicht nur einen verblassendes Geschäftsmodell, sondern auch verbrannte Erde im PR-Bereich. Unnötig, zumal man Mitarbeiter im Umgang mit der Öffentlichkeit leicht schulen kann. Das hilft nur nix, wenn es den Chef nicht interessiert.
Fehler Nummer zwei: Innensicht. Die wenigsten Menschen kaufen ein Auto, weil sie so fasziniert davon sind, wie reibungslos die neuen Injektoren mit den Zündkerzen zusammenarbeiten. Die meisten Menschen kaufen ein Auto, weil sie damit von A nach B kommen, als Spaßpauke oder um damit anzugeben. Doch Ingenieure würden am liebsten den ganzen Tag nur über die neuen Injektoren reden. Die sind wichtig – aber nur innerhalb des Unternehmens. Für die Öffentlichkeit oder für die Journalisten sind derart technische Details uninteressant.
Vor allem kleine und mittlere Unternehmen sind oft der Ansicht, dass die Öffentlichkeit sich für das interessiert, was in ihren Entwicklungsabteilungen stattfindet. Erst recht, wenn der Eigentümer selbst zu den Entwicklern zählt. PR-Mitteilungen strotzen dann nur so vor Fachchinesisch, Konzernsprech und Irrelevanz.
Doch die meisten Kunden interessieren sich für den Nutzen des Produktes, und nicht für die Details des Herstellungsprozesses. Unternehmen sollten PR-Storys aus dem Blickwinkel der Zielgruppe formulieren.
Fehler Nummer drei: Inkompetenz. Nicht zu verwechseln mit „Kein Bock“: Edward Miliband, im Jahr 2014 Chef der britischen Labour-Partei, hatte Bock. Und zwar auf ein Schinkensandwich. Blöd nur: So ein Sandwich lässt sich kaum grazil essen. Das Ganze wird vom harmlosen Fleck auf der Krawatte zum PR-Desaster, wenn Bildjournalisten anwesend sind. Im Mai 2014 ließ Miliband sich beim Essen ablichten, mitten im Wahlkampf. Die Fotos zeigten einen krank aussehenden, schlecht rasierten Mann, der das Gesicht zu einer Grimasse verziert und der dabei ist, seinen Kampf mit dem Sandwich zu verlieren. Noch heute wird Miliband mit diesem Foto aufgezogen.
Handwerkliche Grundregel von PR-Fachkräften: Keine Fotos beim Essen! Niemals, nie, auf allergarkeinsten Fall! Deshalb stochern die Hollywood-Schauspieler auch nur in ihren Salaten herum, statt sie zu essen. Hier ein Beispiel von Angela Merkel beim Essen eines Matjes – Vorsicht, graphic content!
Die britische Premierministerin Theresa May machte 2017 denselben Fehler, als sie sich mit Pommes ablichten ließ – von unten. Sie sah aus, als sei sie dazu gezwungen worden, in verhasstes Arbeiter-Food zu beißen. Kein guter Eindruck. Und andersrum wirkt auch blöd: Theresa Mays Vorgänger, David Cameron, aß im April 2015 ein Hotdog – mit Messer und Gabel. Dafür wurde er als „feiner Pinkel“ kritisiert.
Also: Wer PR machen will, sollte sich Experten einkaufen oder Mitarbeiter mit Weiterbildungen qualifizieren. Gerade kleine und mittlere Unternehmen machen oft den Fehler, den Marketing- oder Öffentlichkeitsarbeit-Job jemandem aufzuschwatzen, der eigentlich Kauffrau oder Kaufmann gelernt hat. Nichts gegen Kaufleute, aber wenn es um das Bild eines Unternehmens in der Öffentlichkeit geht, sind gelernte Fachkräfte die bessere Wahl – statt am falschen Ende zu sparen.
Fehler Nummer vier: Ahnungslosigkeit. Als Werbefachmann braucht man Humor und Kreativität, sonst kommen keine guten Ideen. Doch vielen Agenturen fehlt das Korrektiv, wenn der Witz zu weit geht. Wie bei einem Werbespot des chinesischen Waschmittel-Herstellers Qiaobi. In diesem steckt eine attraktive, junge Chinesin einen attraktiven, jungen Schwarzen in die Waschmaschine – heraus kommt ein attraktiver, junger Chinese. WTF?! Und das im Jahr 2016!
Einen ähnlichen Stunt legte Unilever mit seiner Marke „Dove“ im Jahr 2017 hin. In einem Werbespot für Body-Lotion auf Facebook zieht eine junge, schwarze Frau ihr braunes T-Shirt aus – und verwandelt sich dabei in eine junge, weiße Frau mit hellem T-Shirt. „Rassismus!“, lautete die Kritik von über 3000 Kommentaren auf Facebook.
Unternehmen müssen die Botschaften kritisch prüfen, die Werbeagenturen ihnen verkaufen wollen. Nicht alle Werbefachleute haben die gesellschaftlichen Implikationen ihrer Botschaften im Blick.
Fehler Nummer fünf: Anbiederung. Pepsi machte sich im Jahr 2017 mit einem Werbespot lächerlich, der das Model Kendall Jenner dabei zeigte, wie sie eine offenkundig politische Demonstration mit einer Dose Pepsi entschärfte. Es gibt kaum einen Gegensatz, der größer wäre: Auf der einen Seite politische Aktivisten, denen es ausschließlich um Inhalte geht; auf der anderen Seite ein Mitglied des Kardashian-Clans, der sein Geld nicht gerade mit Denkleistung verdient.
Pepsi musste viel Kritik für den Spot einstecken. Klassischer Fall von „zu viel gewollt“. Die Botschaft und ihre Protagonisten müssen einfach zum Produkt passen. Klar ist politisches Engagement aktuell en vogue und damit ein Garant für Reichweite. Das ist für eine Agentur, die etwas für Pepsi aufbauen soll, schon verlockend. Doch diese Verbindung war einfach zu platt und sorgte damit für das genaue Gegenteil – die Engagierten fühlten sich vergackeiert.
Fazit: Unternehmen brauchen die Menschen, und Menschen brauchen Unternehmen. Und Firmen sind immer für eine Story gut. Doch ohne PR-Fachleute und ohne Korrektiv können viele PR-Maßnahmen nach hinten losgehen.
Konzerne stehen nämlich immer in dem Verdacht, nur unser Geld zu wollen. Jeder muss essen, also braucht jeder einen Supermarkt. Doch der x-te Pappaufsteller, der mit überteuerten Schokolädchen unbekannter Hersteller den Gang versperrt, wenn wir nur das Nötigste einkaufen wollen, nervt! Die Zielgruppe reagiert sauer, wenn sie den Eindruck gewinnt, es ginge dem Verkäufer nicht um die Sache, um die Ware oder die Dienstleistung – sondern nur um den eigenen Profit.
Tim Müßle ist Jahrgang 1974 und Freier Journalist (Diplom). Er arbeitet seit den 90er-Jahren als Redakteur, unter anderem für Zeitschriften wie BODO oder Coolibri sowie für viele Tageszeitungsredaktionen (u.a. verschiedene Mantel- und Lokalredaktionen der Westfälischen Rundschau). Er berät in Sachen PR, Newsletter und Pressearbeit sowie zu den Themen journalistisches Schreiben und Storytelling (Unternehmen, NGO, Agenturen).